Verzückungen (23.11.2023)

Beobachtungen zur Linken in Großbritannien

In Großbritannien gehen seit Wochen Hunderttausende auf die Straßen, um, wie sie sich selber immer wieder aufgeregt bestätigen, friedlich gegen Israel zu protestieren. Dabei werden ganz selbstverständlich die Auslöschung Israels und der Genozid an Juden gefordert. Jetzt bestätigt sich, wie 2015 urplötzlich Jeremy Corbyn zum Labour-Vorsitzenden gewählt werden konnte. Es wurde immer wieder behauptet, dies sei geschehen, weil es so viel Unterstützung für seinen “Sozialismus” gegeben habe. Hierbei wird allerdings unterschlagen, dass die Linke in diesem Land den Inhalt von Sozialismus längst durch Antisemitismus ersetzt hat. Corbyn wurde wegen seines Antisemitismus gewählt, als Hamas-Freund und Israel-Hasser. Die britische Linke versteht ihr Linkssein als Antisemitismus, je radikaler links, desto radikaler antisemitisch. So denunzierte die überwältigende Mehrheit der Linken schon wenige Stunden oder Tage nach den Hamas Massakern selbstverständlich nicht Hamas, sondern ausschließlich Israel. Besonders für radikale Linke entspricht es ihrer Logik, jetzt Frieden zu fordern. Denn Frieden bedeutet für Antisemiten, dass Juden ohne Gegenwehr massakriert werden können. Empathie für die Opfer der Hamas oder Verständnis für israelische Gegenwehr gibt es nicht. So radikal antisemitisch sie sind, so butterweich sind sie bei allen anderen Themen. Nicht zufällig ist Großbritannien eines der westlichen Ländern mit dem niedrigsten Wohlstandsniveau für Durchschnittsarbeitnehmer. Wenn durch höhere Löhne Juden zu Schaden kämen, würde Großbritannien sicherlich eines der höchsten Lohnniveaus der Welt haben. Aber so interessiert die meisten Linken das nicht wirklich, es sei denn als Mobilisierungsfaktor, um neue Rekruten an den Antisemitismus heranzuführen. Der Antisemitismus geht aber weit über die Linke hinaus. Die BBC berichtet seit dem 7. Oktober die meisten Hamas Veröffentlichungen als Tatsache, stellt aber den wenigen Information aus Israel, die es in die Berichterstattung schaffen, regelmäßig die Einschränkung voraus, dass der Inhalt nicht unabhängig geprüft werden könne. Selbst bei den Tories, die offiziell zwar Israel unterstützen, wurde die damalige Innenministerin Braverman, nachdem sie unbeanstandet seit vielen Monaten übelst gegen Immigranten, Umweltaktivisten und Obdachlose hetzte, innerhalb kürzester Zeit abgesetzt, weil sie ein einziges Mal in ihrer Amtszeit die Wahrheit gesagt hat, als sie nämlich die Anti-Israel Demonstrationen als antisemitisch bezeichnete.

Um den Erfolg des Antisemitismus in Großbritannien zu verstehen, lohnt sich auch ein Blick auf die Geschichte. Im Mittelalter gab es ähnlich wie in Deutschland eine Reihe von Pogromen gegen Juden, die im 13. Jahrhundert in der Vertreibung aller Juden aus England gipfelten. Erst im 17. Jahrhundert war es ihnen wieder erlaubt zurückzukehren. Danach war es insbesondere die politische Linke, die aus dem mittelalterlichen Hass auf Juden einen modernen Antisemitismus schuf, in dem alles Übel der Welt, inklusive Kapitalismus und Imperialismus, den Juden angelastet wurde, der aber für Linke ein Entlastungsritual bot, wo jeder Linke sich durch Opposition gegen Juden ein reines Gewissen und Anerkennung verschaffen konnte, auch wenn dieser Linke ansonsten nichts von Bedeutung vorzuweisen hatte. Die britischen Linken müssen sich auch nicht selber die Hände beim Juden-Morden schmutzig machen und dabei womöglich gefahrlaufen von deren Gegenwehr getroffen zu werden. Das überlassen sie lieber anderen, in traditioneller imperialer Arbeitsteilung. Dabei entwickelten die Linken eine romantische Sehnsucht nach der vermeintlichen Authentizität derer, die tatsächlich morden. Der parallel in Deutschland entwickelte eliminatorische Antisemitismus wurde also in Großbritannien friedlich komplementiert durch einen Entlastungs-Antisemitismus. Daher sind diese anti-israelischen Demonstrationen zugleich Ausdruck von Hass und Gewaltbereitschaft gegen Juden als auch Entlastungsritual bezüglich eigener Unbedeutsamkeit. Zudem sind diese Demonstrationen Ausdruck einer stärkeren politischen Zusammenarbeit von Linken, Gewerkschaftern und Islamisten, die dabei nichts gemein haben außer Antisemitismus.

Damit die gewünschte psycho-soziale Entlastung für die Linken zustande kommt, braucht es natürlich plausibel klingender Argumente. Ob diese stimmen oder nicht spielt dabei keine Rolle. Zu den beliebten Argumenten zählen, dass Israel ein kolonialer Siedlerstaat sein und es deswegen richtig sei, Juden zu ermorden. Oder es wird behauptet, dass Israel ein Apartheid-Staat sei, wo nur Juden in Freiheit leben dürfen, und deswegen sei es richtig Juden zu ermorden. Oder es wird argumentiert, dass die zionistische Bewegung mit dem britischen Weltreich kollaboriert habe, und deswegen sei es richtig Juden zu ermorden. Selbst Argumente, Israel sei ein jüdischer Staat oder existiere wegen des Holocausts und es sei deswegen richtig Juden zu ermorden, wurden bisweilen genannt. Jedes einzelne Argument könnte widerlegt oder als absurd bloßgestellt werden. Allerdings ist es jeweils nur ein Scheinargument, dessen Wiederlegung oder Bloßstellung keinen Unterschied macht, denn jedes widerlegte Scheinargument wird sofort vom Antisemiten durch ein neues Scheinargument ersetzt. Jedes Scheinargument besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil, der eine angebliche Ursache behauptet, ist beliebig austauschbar, willkürlich und letztlich unbedeutsam. Der zweite Teil, der die daraus resultierende Folge konstatiert, besagt immer, dass es richtig sei Juden zu ermorden. Der einzig bedeutsame Teil des Scheinarguments ist der zweite Teil, der sich durch Argumente nicht widerlegen lässt. Denn der zweite Teil ist das Glaubensbekenntnis des Antisemiten. Selbstverständlich kann ein Scheinargument, je nach Bildungsgrad und sprachlichen Fähigkeiten des Antisemiten, auch weitaus komplexer gestaltet werden. Der Grundaufbau bleibt allerdings immer gleich. Wenn das Ritual erfolgreich vollzogen werden kann, stellt sich bei vielen, ansonsten unreligiösen, linken Antisemiten eine religiöse Euphorie ein. Sollte ihr Hass auf Juden aber in Frage gestellt werden, trübt sich ihr Blick und die Augen richten sich auf die Ferne, als ob sie durch den Schleier der Realität schauen wollen, hinein in eine andere Welt, wo sich ihr Ritual friedlich, ohne Widerworte und ohne Gegenwehr, immerfort widerholen könne. Diese Verzückung der Linken ist aber auch ihre Schwäche. Denn dafür opfern sie wieder und wieder bereitwillig ihre eigenen Organisationen und politischen Bewegungen. Dieser selbst-regulierende Prozess hat bislang sichergestellt, dass sich zu ihrer sozialen Bedeutungslosigkeit auch politische Machtlosigkeit gesellt. Möge es weiterhin so bleiben!

CM, Sektion in Großbritannien

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