Serkan hat keine Chance! (11.01.2008)

Als Ende November 1992 die Großmutter und die zwei kleine Töchter der türkischen Familie Arslan in Mölln durch zwei Jungdeutsche, Michael Peters und Lars Christiansen verbrannt wurden, war Serkan gerade mal fünf Jahre alt. Er hat davon kaum etwas mitbekommen.

Er wuchs in „zerrütteten“ Verhältnissen auf. Der Vater Alkoholiker, die Mutter und die Kinder wurden geschlagen, bis sich die Mutter vom Vater trennte. Irgendwann schob der deutsche Staat den Vater in die Türkei ab, Serkan blieb „dahoam“. Wo sollte er auch hin?

Er war hier geboren und aufgewachsen – wenn es überhaupt Aufwachsen genannt werden kann, als „Kümmeltürke“ beschimpft, in der Schule gehänselt, auf der Strasse gegängelt zu werden; und vor Allem jene ewigen Hassblicke, die ihm herabwürdigend entgegengeschleudert wurden. Allein unter den Deutschen. Er landete mit 11 Jahren in einem Erziehungsheim.

Das „Erziehen“ hat gerade mal ein Jahr gedauert. Er war wieder auf der Strasse. Mal verübte er einen Autoeinbruch, mal ließ er etwas mitgehen, um so zumindest seinen Abstieg selber zu bestimmen. Und es ging so weiter. Die „Türkenbrut“, der „Kanake“, der sich nicht benimmt „in unserem Land“, wo es „früher so was nicht gegeben hat“. Er wurde so lange wie ein Stück Dreck, wie Ungeziefer behandelt, bis er soweit war; eine Wanze halt, die man jederzeit zwischen den Fingern zerquetschen kann, ohne mit der Wimper zu zucken.

Sie haben ihm nichts gelassen. Er schaffte es trotzdem, ein Stück Würde zu behalten, so als einen rettenden Strohhalm, um weiter atmen zu können: Er legte Grenzen fest, die die Anderen mit ihrem Vernichtungswahn nicht überschreiten dürften, Grenzen, innerhalb derer er lebendig wurde, und bei deren Verletzung er zurückschlug, als Nachweis dessen, dass es ihn noch gibt.

So auch am 20. Dezember in der Münchner U-Bahn.
Serkan und sein Freund Spyros hatten – nach dem gemeinsamen Biergenuss – Lust auf eine Zigarette. Daraufhin versuchte ein 76-jähriger Mann sie zu disziplinieren, mit der Aufforderung die Zigaretten auszumachen. Dieser pensionierte Lehrer (gar ein ehemaliger Schuldirektor) aus der Generation H (mit J am Ende) war angesichts der Nichteinhaltung der deutschen Ordnung und der Verletzung der Regeln der Volkshygiene nicht nur außer sich, sondern fühlte sich auch noch voll im Recht, angesichts der neuen Errungenschaften der deutschen Volks- und Krämer-Seele. Eben einer von der Sorte „Menschen, die man außer mit Messer nicht verletzen kann“ (W. Pohrt). [i]

Da waren sie wieder diese urdeutschen Verhaltensmuster, diese notorische Anmache ihnen nicht bekannter Menschen, diese penetranten Belehrungen über den Lauf der Dinge und der Welt, dieses Zuständig-Sein für Alles und Jeden, diese Mischung aus Oberlehrer, Blockwart und Polizist, dieser Versuch des zielgerichteten psychischen (und später physischen) Niedermachens. Und da war sie auch, jene Grenze, die der Andere nicht überschreiten dürfte: Keinen Zeigefinger mehr! Keine Disziplinierung! Keine dumme Anmache mehr! Serkan und Spyros kamen der Aufforderung des Ex-Lehrers nicht nach. Stattdessen schlugen sie zu.

Serkan wurde wieder Mensch: Nein, kein Abschaum mehr! Ich bin Serkan und du bist ein Stück Scheiße. „Deutsches Arschloch“ soll er ihn genannt haben. Sein Freund Spyros war vehementer. Da er schwächer war, musste er Anlauf nehmen, um mit voller Wucht treten zu können. Aber Spyros ist Grieche, also nicht so ganz dazu geeignet, um der Meute als Hassobjekt zum Fraß vorgeworfen zu werden; nicht nach dem ganzen Spektakel mit „Rehakles“, olympischen Spielen, Kreta und Kloster. Natürlich wäre es viel besser gewesen, wenn er zumindest Araber gewesen wäre. Man muss aber leider Gottes dann und wann mit dem vorlieb nehmen, was da ist.

Seitdem ist das Land der Deutschen in offenem Aufruhr. Sie verlangen zwar nicht gerade die Wiedereinführung der Todesstraffe, das wäre zu einfach. Der Lynch-Gedanke und Rachefeldzug hat Konjunktur, wie auf Knopfdruck, nach über 60 Jahren. Der voyeuristische Journalismus hat alle Hände voll zu tun. Serkans Bruder, seine Schwerster, seine kleine Tochter (untergebracht in einer Pflegefamilie), seine Mutter, und alle, mit denen er zu tun hat oder zu tun haben könnte, werden auf dem internationalen Parkett präsentiert, fotografisch fixiert und zerstückelt, aktenkundig ausrecherchiert. Nicht mal die Richterin, die ihn bei einem früheren Delikt freigesprochen hatte (anstatt ihn mindestens lebenslänglich einzusperren, wie der Volkszorn es verlangt), bleibt verschont. „Richterin gnädig“ wird sie tituliert.

Wenn es sich auch noch herausstellen sollte, dass er letztes Jahr dreimal in einer Münchner Moschee einkaufen war, dann würde auch noch die andere, die linksdeutsche Sorte aktiv: Gremliza würde ihm einen Kommentar in Konkret („Herrschaftszeiten“) widmen und seine rassistischen Hunde (Pankow und Co.) wieder von der Kette lassen, um Serkans Abschiebung zu fordern; Künzel würde wieder mal irgendeinen Zusammenhang mit dem Großmufti von Jerusalem herausarbeiten (vielleicht gar als Buch veröffentlichen); und die Jungle World würde mal wieder ihre Hemmungen rechtfertigen mit „zum anderen leben hierzulande inzwischen zu viele, als dass man sich mal eben mit ihnen anlegte“. Sie muss ja schließlich etwas für das Zubrot, das sie – zugegebener Maßen über Umwege – vom „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ verdient, tun. Und vielleicht finden sie irgendeine(n) von den „Assimili-Alis“, der/die alles auspackt, und die gaaanze Wahrheit über die Brutalität der türkischen und sonstigen Kanaken-Gangs – egal ob anhand eigener oder erfundener Erfahrungsberichte – schonungslos ausplaudert. Hauptsache, alles auf den rassistischen, explosionsartig expandierenden Markt werfen. Es wird garantiert ein Erfolg, gekrönt mit Talkshows und Interviews.

Alles in allem also, das ganz gewöhnliche und inzwischen ritualisierte urdeutsche (pankowsche) Reflexverhalten.

Das einzige was noch nicht ins vorgefertigte Bild passt, ist, dass Serkan und Spyros gar keine Ordnung, nicht einmal eine ethnische Ordnung eingehalten haben, und den Erzfeind, den Grieche bzw. den Türke zum Herzensfreund machten. Das irritiert die Deutschen etwas, bringt ihre Klischeeordnung durcheinander.

Serkan kümmert sich aber weder um die multi- noch um die monokulturellen Sorgen seiner Jäger. Er versetzt sie stattdessen in Rage, indem er trotz der ganzen Hetzkampagne und der ihm angedrohten drakonischen Strafe (15 Jahre) behauptet, dass der Ex-Lehrer ihn angemacht habe: er hätte nicht so mit ihm umgehen dürfen.
Seine Sicht interessiert aber niemanden. Es wird nicht mal die Hypothese diskutiert, ob es sein kann, dass dieses Massenphänomen (Anmache von völlig fremden, durch völlig fremde Leute), bevorzugt wiederum gegen „Ausländer“, insbesondere anzutreffen bei der Generation H (mit J am Ende), aber auch bei den anderen Deutschen, tatsächlich ein unerträglicher Zustand ist. Dass es zumindest für die Betroffenen eine nicht auszuhaltende Situation darstellt, und daher abgestellt bzw. reglementiert werden muss. Bei allem Verständnis, das wir für diesen lebenswichtigen und wesensartigen teutonischen Hedonismus haben, muss es doch möglich sein, dass sie irgendwann einmal damit aufhören.

Nichts davon aber wird zur Sprache gebracht, geschweige denn problematisiert. Stattdessen wird zum Angriff geblasen: Jeder „Vorfall“ mit „Migrationshintergrund“ (wie nun mal das rassistische Blutzugehörigkeitsprinzip auf neudeutsch artikuliert wird) wird peinlichst und detailliert registriert, aufgesetzt und rapportiert. Und jeder Deutsche scheint sich aufgerufen zu fühlen, als Hilfssheriff und Denunziant tätig zu werden, und dabei besonders auf “die Ausländer” zu achten, die „die deutsche Ordnung besonders stören [ii] “.

Keinen offenen Aufruhr verursachen die täglichen Überfälle der Ossis (die Wessis ziehen nach). So wurde die Advents- und Besinnungszeit zwischen den Jahren entsprechend gefeiert: In Berlin-Lichtenberg attackierten und jagten 15 Jungdeutsche mit Schlagstöcken eine fünfköpfige afghanische Familie, in Dresden überfiel eine Gruppe von 10 bis 15 Männern zwei Sudanesen und schlugen sie krankenhausreif, im Zug Halle-Magdeburg, zerrten drei Angreifer einen Italiener aus seinem Abteil und schlugen auf ihn ein, in Berlin griffen drei Jungdeutsche einen Jordanier an, beschimpften ihn mal als Araber, mal als Juden und schlugen ihn, in Braunschweig haben zwei Deutsche zwei Syrer attackiert und einen von ihnen krankenhausreif geschlagen, um nur ein paar Promille des deutschen Treibens anzusprechen.

Nicht, dass sie davor untätig waren: 18.000 „rechtsextreme Straftaten“ wurden allein in 2006 registriert; man geht von einer Steigerung in 2007 aus.

Aber wen juckt es. Denn bei allen Differenzen zwischen den Fraktionen der Deutschen, bei allen Grabenkämpfen zwischen den ideologischen Lagern und sonstigen Einträgen im Vereinsregister, gibt es ein gemeinsames Verständnis: Jene Tat ist abscheulich, brutal, menschenverachtend, im besten (linken) Fall übertrieben und unpolitisch sowieso. Dies ist das Fundament auf dem die Berufs- und berufenen Deutschen auf die Bühne treten. Die Kochs, die Merkels, die Opposition, der Meute-Journalismus, alle sind zur Stelle. Und wieder eskaliert die Postauschwitzgesellschaft: „Educationcamps“ nennen sie das, was sich aus ihnen heraus denkt. Es klingt nun mal moderner als „Jugendschutzlager“ oder „Arbeitserziehungslager“ des Nationalsozialismus. Ein „Warnschussarrest“ muss her (der bekanntlich vor dem finalen Schuss kommt), „die müssen aus dem Verkehr gezogen werden“ sagen die Deutschen und meinen es auch so.

Diese sprachlich nur schlecht verdeckten Vernichtungstriebe wurden in Berichten der italienischen Medien über die deutschen Vorhaben zur Errichtung von Abschiebelagern für straffällige Ausländer folgerichtig mit Fotos vom KZ Dachau illustriert (SZ vom 08.01.08).

Ausgerechnet eine der gewalttätigsten Gesellschaften in all ihren Bestandteilen, die mit aller Härte Tod und Verderben weltweit bringt, und sich aggressiv an den Grenzen und vor Ort auslebt, hat die Gewalt entdeckt… in der U-Bahn.

Indem die Linke den Vorfall auf die wahrhaft (oder echte ?) BILD-reife Schlagzeile von einem „brutalen Angriff auf einen deutschen Rentner“ (z.B. German Foreign Policy.com) bringt, offenbart sie ihren Gleichklang mit dem rassistischen Mainstream (Das organisierte Antirassistentum übertraf sogar manche Hetzer: „Rassistischer Überfall eines Türken und eines Griechen auf einen Rentner in München“, heißt der entsprechender Titel deren Berichterstattung dazu, z.B. in „MUT gegen rechte Gewalt“).

Und weil sie ihre biedermeierliche Differenz zum politischen Brandstifter-Programm dazugeben will, ist die Reaktion von MigrantInnen auf die existenzbedrohenden Verhältnisse nur ein Störfaktor im eigenen „revolutionären“ Fortschreiten.

Diametral dagegen steht der Anspruch – wie wir mal geschrieben haben -, „den Deutschen ein paar Selbstverständlichkeiten reinprügeln“ zu müssen. Und zwar so lange, bis das rassistische Vernichtungsverhalten nicht mehr entflammbar ist (ob aus Ein- oder Rücksicht, uns ist das egal, das Ergebnis zählt).

Die Anklage lautet auf Mordversuch. Sie wollten unbedingt den Ex-Lehrer länger in der Klink behalten, damit die voyeuristischen Fotos des im Bett liegenden „Beinahe-Ermordeten“, die Gazettenrunde machen und die Volksseele zum Koch(en) gebracht werden kann. Deswegen hat es niemandem in den Kram gepasst, dass er bereits nach 10 Tagen die Klinik verließ. Es könnte die Mordanklage (und die Kampagne) gefährden.

In ein paar Tagen (wenn es inzwischen nicht schon geschehen ist) kommt der Mörder der Familie Arslan, Michael Peters, der 15 Jahre eingesessen hat, frei (der zweite Mörder, Lars Christiansen, ist bereits seit Jahren frei). Ein Ausgleich muss her, die 15 Jahre für Serkan können es herstellen, nach dem Motto: Wir sind wieder quitt.

Serkan und alle Serkans im Land der Deutschen haben keine, absolut keine Chance. Denn es gibt niemanden, der die Meute stoppen kann. Ironischerweise halten sie nur einige der noch geltenden Gesetze, die in einem Moment der Bescheidenheit oder der dilettantischen Vorsorgeplanung verabschiedet wurden, vorläufig davon ab, das in die Tat umzusetzen, was sie verbal so auskotzen.

Eins haben Serkan und Spyros auf jeden Fall erreicht: Ab nun werden Kanaken – für eine Weile wenigstens – in der U-Bahn, auf der Strasse oder sonst wo von einigen Deutschen weniger angemacht, diszipliniert und belehrt. Dafür muss man den beiden danken.

Sofortige Freilassung von Serkan und Spyros!

Scheiß Deutschland!

Café Morgenland, 10. Januar 2008


[i] Serkans Mutter hat sich für die Tat ihres Sohnes bei ihm entschuldigt. Auch Serkan wollte sich bei ihm entschuldigen. Er hat allerdings jegliche Entschuldigung abgelehnt (FR, 7.1.08). Keine Chance … jetzt wo Serkan in die Ecke getrieben wurde… wie gesagt: „…ohne mit der Wimper zu zucken

[ii] „Der 47-Jährige war am heiligen Abend gegen 21 Uhr auf den Weg nach Hause… Im Zwischengeschoß des Hauptbahnhofs bemerkte er, wie ein Mann sich trotz Rauchverbots eine Zigarette anzündete. Darauf angesprochen antwortete sein Gegenüber kurzerhand mit der Faust, schlug den Mann ins Gesicht und trat ihm gegen die Rippen. Der 47-Jährige wehrte sich, schlug zurück und konnte den Mann festhalten bis die Bahnpolizei eintraf. Gegen den Täter, einen 30-Jährigen Iraker, erging Strafanzeige wegen Körperverletzung“ (SZ, 27.12.07)

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